Iceland 2.0
posted on Dec, 2021

 
Während unserer ersten Reise nach Island Ende Februar 2020 hatten uns
vor allem die atemberaubende Natur und die grossen, unberührten Flächen
dieses Landes beeindruckt. Umso traumatischer war unsere Rückkehr nach
Hause, wo uns wenige Tage nach unserer Ankunft der erste von der Covid-
19 Pandemie verursachte Lockdown erwartete.
In den folgenden Wochen und Monaten hatten wir viel Zeit zum träumen und
vor allem ein bestimmter Gedanke setzte sich in unseren Köpfen fest. Die
Gleschermühlen. Während unserer ersten Reise blieb uns das Klettern in
diesen besonderen Formationen verwehrt und so begannen wir eine zweite
Reise nach Island zu planen, diesmal im Herbst, dem idealen Zeitpunkt um
sich in die Gleschermühlen abzuseilen. Doch dann kam eine neue Welle der
Pandemie und bremste unsere Pläne aus. Im Sommer 2021 begann mein
Freund Marco einige Textnachrichten mit einem unserer Bekannten, Jeff
Mercier aus Frankreich auszutauschen. Jeff ist einer der besten Eiskletterer
der Welt und hatte bereits ein halbes Jahr vor uns Island bereist. Er war so
begeistert von der Kletterei in den Gleschermühlen, dass er unbedingt
zurück nach Island wollte und so begannen wir, eine gemeinsame Reise zu
planen.
Matteo, unser italienischer Freund, der seit Jahren in Island lebt und als
Gletscher-Guide arbeitet, war wieder mit von der Partie. Am ersten Tag
wollte Matteo uns das von ihm neu erschlossene Drytooling Gebiet, das sich
nur 20 Minuten Autofahrt von Reykjavik befindet, zeigen. Jeff und ich hatten
sehr viel Spass auf den Routen, die sich alle im mittleren Schwierigkeitsgrad
zwischen D6 und D9 ansiedeln und der Ausblick vom Klettergarten auf das
Meer und die Bucht von Reykjavik war fantastisch.
Am darauffolgenden Morgen fuhren wir Richtung Süden, wo wir zwei Tage
lang auf dem Myrdalsjökull Gletscher nahe dem Städtchen Vik klettern
wollten. Und so kam ich endlich zu meiner lang erträumten Kletterei in den
Gletschermühlen. Ich war sofort begeistert von diesen vertikalen Tunneln,
die durch das von der Sonne an der Oberfläche geschmolzene Wasser, das
sich einen Weg in die Tiefe sucht, gebildet werden. Die Gletschermühlen
können eine Tiefe von einigen hundert Metern erreichen, die von uns
gekletterten waren um die 30-40 Meter, die Grösste war 70 Meter tief.
Sich ins Leere abseilen, ohne zu wissen, was einen dort unten erwartet und
mit dem Gedanken im Kopf, dass man auch wieder aus eigenen Kräften hoch
klettern muss, schenkt immer eine besondere Dosis Adrenalin. Dies werden
wohl alle, die sich jemals in die berühmte Verdon Schlucht abgeseilt haben,
bestätigen können. In unserem Fall kam noch dazu, dass wir uns in enge,
dunkle Tunnel abseilten, nichts für jene, die unter Platzangst leiden.
Nach zwei Klettertagen in Vik, fuhren wir weiter Richtung Südosten und
quartierten uns für die restliche Zeit unserer Reise in Skaftafell ein. In den
folgenden Tagen kletterten wir jeden Tag auf einem andere Ausläufer des
riesigen Vatnajökull Gletschers. Jede Gletschermühle ist einzigartig, jede
hat eine ganz besondere Form, bietet Platz für eine oder mehrere Kletter-
Linien und jede hat eine andere Farbe. An einem Tag kletterten wir auf
weissem, von Maserungen durchzogenen Eis, das auf den ersten Blick wie
Marmor wirkte, am nächsten Tag war das Eis so durchsichtig, dass man das
Eindringen der Eisschraube sehen konnte und am darauffolgenden Tag war
das Eis von Lavaasche dunkel gefärbt.
Sich ins Innere des Gletschers abzuseilen ist absolut beeindruckend, mir
kam es vor, als sei ich auf den Spuren von Jules Verne, als er seine Reis zum
Mittelpunkt der Erde schrieb. Dies ist eine Kletterei, die nie langweilig wird
und bei der keine gekletterte Linie der anderen gleicht. Die Gletschermühlen
werden auch vom schnellen Schwinden der Gletscher beeinflusst, die sich in
Island momentan um mehrere Dutzend Meter pro Jahr zurückziehen. Da
viele der von uns besuchten Mühlen sich am Rande des Gletschers
befinden, werden sie bereits im nächsten Jahr in veränderter Form, wenn
nicht sogar gar nicht mehr zu finden sein. An diesem Punkt kann ich nicht
anderes als mich fragen, was ich persönlich und im Kleinen beitragen kann,
um den Klimawandel zu vermindern.
Unsere zweite Reise nach Island Ende Oktober 2021 hat für mich das Ende
der Reisebeschränkungen in andere Länder gekennzeichnet und ich hoffe,
dass sich der Kreis somit schliesst.
Ein grosser Dank gilt wiederum Matteo Meucci, der uns diese einzigartigen
und oft alles andere als leicht zu findenden Orte gezeigt hat.



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